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Presse-Artikel

ratgeber.ARD.de

Erstellt von Zahnarztangst |

Wenn der Zahnarztbesuch zum Horror wird

Herzrasen, Panikattacken, Brechreiz - Menschen mit Zahnarztphobie haben ein Problem, wenn sie nur an den Zahnarzt denken. Neben psychotherapeutischen Maßnahmen setzt Zahnarzt Dr. Michael Leu vor allem auf die Vollnarkose. Im Interview erklärt er, warum das Thema immer noch unterschätzt wird.


ARD.de: Herr Leu, hatten Sie selbst jemals in Ihrem Leben Angst vorm Zahnarzt?

Dr. Michael Leu: Nicht richtig. Also es begeistert mich nicht gerade, aber ich schwitze nicht, der Puls geht nicht rauf.


ARD.de: Wie viele Menschen in Deutschland haben eine Zahnarztphobie?

Dr. Michael Leu: Laut einer Studie des NHS (des britischen Gesundheitssystems, Anm. d. Red.) haben zwölf Prozent der Erwachsenen weltweit eine Zahnarztphobie. Egal ob in Saudi-Arabien, Marokko oder den Industriestaaten.


Angst oder Phobie?

Seit 1997 ist die Zahnarztphobie eine von der WHO anerkannte psychosomatische Erkrankung. Sie unterscheidet sich von der nicht krankhaften Angst vor dem Zahnarzt durch die besondere Intensität der Angstzustände und das Vermeidungsverhalten. Betroffene gehen Jahre bis Jahrzehnte nicht zum Zahnarzt und riskieren den kompletten Verfall ihres Gebisses.


ARD.de: Wie genau äußert sich eine Zahnarztphobie?

Dr. Michael Leu: Eine Zahnarztphobie kann viele Symptome haben, häufig sind es Stress, Panikattacken, Brechreiz oder Weinen. Ich kenne einen Fall, da ist ein Patient aus der Praxis geflüchtet. Vom Arzt auf seine Angst angesprochen, war er völlig entsetzt. Er hatte keine Angst, sondern war mitten in einer phobischen Reaktion. So etwas erkennt kaum jemand.

Man weiß heute auch, dass die Betroffenen teilweise ein erhebliches Selbstmordrisiko haben. Ein Zahnarztphobiker versteckt seine Angst vor allen, sogar die eigenen Ehepartner wissen oft nichts davon. Das Problem, das diese Menschen haben, wird häufig nicht ernst genug genommen. Von vielen Zahnärzten bekommt er zu hören "Das kriegen wir schon hin" oder "Reißen Sie sich mal zusammen".


Zahnarztphobie: Die Diagnose

Mithilfe des international gültigen HAF-Tests wird beurteilt, ob ein Patient nur Angst hat oder an einer manifesten Zahnarztphobie leidet. Bei 38 oder mehr Punkten ist man ein sogenannter Phobie-Patient.

Werden Zahnärzte Ihrer Meinung nach im Studium zu schlecht auf solche Patienten vorbereitet?

Ja, deshalb ist es eine Forderung der Dachgesellschaft für Psychosomatik, dass jeder Arzt, also nicht nur Zahnärzte, einen Grundkurs in Psychosomatik ableisten sollte. Das machen aber bislang nur Gynäkologen und Allgemeinärzte. Wir haben das in Berlin für Zahnärzte angeboten, aber da hat sich kein Einziger gemeldet. Ein Grundkurs von fünfzig Stunden wäre nötig für jeden Arzt.


ARD.de: Wie hilft man Menschen mit Zahnarztphobie? Gibt es spezielle Therapien?

Dr. Michael Leu: Zuerst muss man die körperlichen Symptome erkennen und so reagieren, dass sich der Patient beruhigen kann. Und dann gibt es im Grunde zwei Ansätze zur Behandlung. Der eine Ansatz ist die Psychotherapie.

Der zweite ist die von mir entwickelte DreiTermineTherapie, bei der eine gute Gesprächstechnik, ein gutes Schmerzmanagement und die Sanierung der Zähne unter Vollnarkose im Mittelpunkt stehen. Sie müssen bedenken, dass phobische Patienten über Jahre und Jahrzehnte nicht beim Zahnarzt waren und riesige Schäden im Mund haben. Die Operationen dauern deshalb zwischen drei und sieben Stunden. Mit den modernen Narkosetechniken ist das aber heute durchaus möglich.

Und ich habe bei der Behandlung unter Vollnarkose noch etwas ganz anderes entdeckt. Das Verrückte ist, wenn man die Lokalanästhesie weglässt und stattdessen mit einer speziellen Fom der Vollnarkose operiert, haben die Patienten danach fast nie Schwellungen oder Schmerzen.


ARD.de: Wie nachhaltig sind denn diese Methoden?

Dr. Michael Leu: Nach meiner Erfahrung hat die überwiegende Mehrheit später keine Probleme mehr und kann von einem normalen Zahnarzt behandelt werden. Es gibt aber auch Fälle, wo die Patienten nach wie vor phobisch sind.


ARD.de: Was weiß man heute über die Ursachen einer Zahnarztphobie?

Dr. Michael Leu: Ein Großteil unserer Patienten hat wirklich schlechte Erfahrungen bei Zahnärzten gemacht. Viele Wissenschaftler gehen aber auch von einer genetischen Ursache bzw. erlerntem Verhalten aus. Grundsätzlich kennt man die Zusammenhänge aber noch gar nicht. Was ist eine Phobie genau? Was verursacht rein molekular eine Phobie? In ganz kurzer Zeit ist da ein riesiger Wissenschaftsbereich entstanden, vor allem in Skandinavien und Kanada.

Es gibt zum Beispiel ein Protein, das den Stressabbau behindert, also verhindert, dass man sich schnell beruhigt. Kaum jemand weiß, ob er das Protein hat.

Im Tierversuch hat man außerdem festgestellt, dass Mäuse, die in einer bestimmten Lebensphase eine besondere Nähe zur Mutter hatten, eine wesentlich höhere Anzahl von Rezeptoren für Stresshormone auf der Zelloberfläche haben. Das heißt, das Hormon, das im Blut zirkuliert, wenn man Stress hat, wird von diesen Leuten wesentlich schneller neutralisiert als bei anderen. Das Ganze ist außerordentlich kompliziert. Im Grunde genommen ist es eine Aufgabe für die Wissenschaft, der Sache nachzugehen.

(ratgeber.ARD.de, 05.09.2013)

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